zήτω οἱ κρόκοι

Zwei ältere Männer sitzen fast allein nebeneinander auf dem drittoberen Halbrund eines scheinbar griechischen Theaters. Es ist gegen Ende Februar. Die Bäume sind kahl. Vögel zwitschern. Ab und zu hört man in der Ferne einen Specht auf einen toten Baum einklopfen. Die Temperaturen sind angenehm. Ab und zu schiebt ein Sonnenstrahl die dichte Wolkendecke auseinander, um nach den beiden Männern zu sehen. Später Nachmittag kurz vor Sonnenuntergang.

EINER   Heißt es eigentlich Kroki, Krokusse oder Kroken?

ANDERER   Was spielt das für eine Rolle?

EINER   Na, man will sich doch verständlich machen. Und nicht zum Deppen.

ANDERER   Dann solltest du aber alle Varianten nennen und nicht nur diese drei. Also, was fällt dir noch ein?

EINER   Ist bei diesen drei Varianten nicht schon die richtige dabei?

ANDERER   Doch, eine ist dabei, also eine offizielle. Ob es die richtige ist? Wer will das entscheiden? Der Duden? Die andere richtige fehlt noch – so wie viele weitere Deppenformen.

EINER   Mir fallen sonst keine ein.

ANDERER   Welche willst du zuerst hören? Die richtige oder die Deppenversionen?

EINER   Zuerst will ich mich freuen. Danach weinen.

ANDERER   Gut. Krokusse ist die offiziell richtige. Weiterhin gültig ist Krokus, mit langem U. Der Begriff ist kein originär lateinischer, sondern wiederum ein Lehnwort aus dem Griechischen. Also krokos. Im Griechischen heißt der Plural krokoi, im Lateinischen croci. Trotz Lateinversessenheit des Bildungsbürgertums hat sich die lateinische Pluralendung beim Krokus allerdings nicht durchgesetzt. Was verblüffend ist, wenn man an all die wissenschaftlichen Fachbegriffe der Botanik denkt.

EINER   Ich werde jedenfalls ab jetzt Krokoi nutzen. In den meisten Fällen ist das Original ohnehin die beste Version. Krokoi.

ANDERER   Sehe ich ähnlich. Willst du noch immer weinen?

EINER   Na, klar. Schon aus dem Grund, um danach wieder lachen zu können.

ANDERER   Gut, dann halte dich fest: Kroketten, Krokanten, Kroküsse, Krokeen.

EINER   Mh, irgendwie ist das gar nicht zum weinen. Diese Begriffe sind fast schon zärtlich berührend, vielfältig und vielseitig.

ANDERER   Der Krokus, die diverseste aller Knollen.

EINER   In violett, gelb und weiß zu haben.

ANDERER   Das klingt jetzt aber unpassenderweise nach analogem Clickbait, also einer billigen Verkaufstaktik, um mich in das nächste Gartencenter zu locken.

EINER   Ich denke lediglich über Möglichkeiten nach.

ANDERER   Möglichkeiten des Profits auf Kosten einer unschuldigen, kleinen Blüte.

EINER   Die meist plötzlich und im großen Pulk auftaucht. Subversiv und durch und durch links-progressiv.

ANDERER   Was ist an Kroküssen progressiv?

EINER   Na, genau das! Nicht einmal auf einen Plural lassen sie sich zweifelsfrei festlegen, diese Eingewanderten mit vielfachem Migrationshintergrund und farbigem Antlitz.

ANDERER   Jetzt interpretierst du aber etwas in die Knolle hinein, was gar nicht in ihr steckt. Selbst die Kartoffel – mittlerweile Sammelbezeichnung für den Deutschen an sich – stammt ursprünglich aus Südamerika.

EINER   Wohin sich viele Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg geflüchtet haben!

ANDERER   Das hat aber nichts mit den Croci zu tun.

EINER   Vielleicht aber mit den Krokoi. Immerhin sitzen wir hier in einem leeren, griechischen Theater.

ANDERER   Das ist – wie bei dir üblich – sehr weit hergeholt. Ein dem griechischen Theater nachempfundenes in einen eigens dafür aufgeschütteten Erdhügel hineinbetoniert. Daneben krächzt Rabenvolk. Entfernt klopft ein Specht seinen Takt zum ausklingenden Winter, und die Tauben gehen mir auch schon länger auf den Geist.

EINER   Aber an den Krokoi konntest du dich erfreuen.

ANDERER   Ich gebe es zu.

EINER   Dann haben sie sich trotz unangepasster Bezeichnung scheinbar gut integriert. Sie können ihren Namen wechseln, ihre Farbe und doch stehen sie für eine gewisse Kontinuität. Ende Februar kehren sie zurück, so wie die Zugvögel ein wenig später und lassen uns daran freuen, dass sich bald die grüne Pracht des Frühlings wieder zeigt.

ANDERER   Krokus bringen Kontinuität in der Veränderung; Diversität im ewig Gleichen.

EINER   Genau.

ANDERER   Ein Hoch auf die Kroken!

EINER   Zήτω οἱ κρόκοι.


        © Dominik Alexander / 2023

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