Die sogenannte gendergerechte Sprache ist mittlerweile etabliert. Wenigstens in der Schriftsprache. Genormt ist sie nicht. Es gibt also noch immer viele Zeichen für das Diverse zwischen männlich und weiblich. Doch wie sieht es in der gesprochenen Sprache aus? Ein Gedankenanstoß.
Gleich zu Beginn dieser Kolumne möchte ich betonen, dass ich keine Form der sogenannten gendergerechten Sprache wirklich mag. Für mich ist das ästhetische Vergewaltigung, wenn durch kleine Piktogramme, die keinen Eigenlaut haben, oder überlange Personenanreden Texte und deren Aussagen zerrissen werden. Sprachlich wird so der Fokus auf die Sprache an sich gelenkt, nicht jedoch auf den zu übermittelnden Inhalt des schriftlich oder mündlich Dargelegten.
Tatsächlich erscheinen mir die Diskussionen über Zeichen, über die man sprachlich stolpert, weil man (noch) nicht weiß, wie man sie aussprechen soll, sowohl grotesk und albern als auch ein wenig schizophren, da gleichzeitig normgerechte Orthographie und Grammatik immer weniger bedeutsam sind. Schaut man in die Kommentarspalten von Chatgruppen, Facebook, Instagram und Twitter, aber auch auf journalistisches Schreiben in Print- und Onlineausgaben diverser Tages- und Wochenzeitungen, kann man diesen Eindruck bekommen: Bestehende Normen sind unwichtig; Hauptsache, der Text ist von kleinen, niedlichen Sternchen, Kreisen und Strichen durchzogen. Oder ist dieser Trend nur konsequent? Von der eindeutig lesbaren Schrift hin zum vielfältig deutbaren Piktogramm?
Ist gendergerechte Sprache gendergerecht?
Der Gender_Gap war zuerst da. 2003 wurde er vorgeschlagen, um neben männlichen und weiblichen Angesprochenen auch diejenigen mitzumeinen, die sich dem binären Geschlechterprinzip nicht zuordnen können oder wollen. Als dessen Weiterentwicklung verbreitet sich der (das) Gender*Stern(chen) seit 2009 im deutschsprachigen Raum. Eine Zeitlang war die BinnenMajuskel im Gebrauch. Zuweilen taucht hier und da ein Gender:Doppelpunkt auf. In der Schriftsprache unterscheiden sich diese Zeichen vor allem durch den Grad der Sichtbarkeit. Wohl deshalb ist der *Asterisk so beliebt, weil er von allen erwähnten Zeichen am besten zu erkennen ist. Soweit die vereinfachte Bestandsaufnahme.
Der Sprachliebhaber oder die Sprachliebhaberin oder die Sprachliebhabenden oder die Sprachliebhaber*innen werden sich spätestens hier fragen: cui bono? Und nützt es überhaupt? Ja, Sprache ist wichtig und kann die Gesellschaft beeinflussen. Das wissen wir spätestens seit der »LTI« von Victor Klemperer. Und nach Ernst Cassirer lassen Sprachsysteme im Zusammenhang mit ihren Benennungen von Dingen auf das Wesen einer Sprachgemeinschaft schließen. Wir können also fragen: Was sagt der Genderstern über die deutsche Sprachgemeinschaft aus?
Zunächst einmal sind alle Menschen, die sich nicht explizit männlich oder weiblich sehen, mit dem Genderzeichen sprachlich sichtbar geworden. Doch – typisch deutsch – wird das erkannte Problem nicht einfach nur sichtbar gemacht, sondern zergliedert, ausgewalzt und verstümmelt. Bis es noch mehr scheinbare Probleme gibt, als ursprünglich erkannt wurden. Beispielsweise, wenn Feministinnen trans Menschen ablehnen, trans Männer, weil sie sich angeblich vom Frausein entfernen (sie waren nie Frauen!); trans Frauen, weil diese noch immer Männer seien.
Der Vollständige, die Verstümmelte und das kleine Nichts
Das wirkliche Problem besteht jedoch in der angeblich gendergerechten Sprache selbst. Zum einen wird nicht zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht getrennt (das Weib). Angeblich sei das Deutsche vom »generischen Maskulinum« bestimmt. Beispielsweise bei Berufsbezeichnungen kann man erkennen, dass die Begriffe historisch gewachsen sind. Müller und Tischler waren eben hauptsächlich Männer, während Hebammen Frauen waren. Dazu nebenbei: Was wäre denn die männliche Form von Hebamme? Hebammer?
Das Gendersternchen kann in Behördentexten oder anderen offiziellen Dokumenten meinetwegen benutzt werden. Da stört es mich kaum. Doch was ist mit der nur gesprochenen und auf der anderen Seite gehörten Sprache? In der gesprochenen Sprache werden gegenwärtig Genderpause und Glottisschlag vorgeschlagen, um das Genderzeichen hörbar zu machen. Dann setzt der Sprecher entweder eine Pause zwischen Wortstamm und weiblicher Endung oder einen Kehllaut, ähnlich dem stimmhaften pharyngalen Frikativ im Arabischen (ʿAin).
Mit anderen Worten: Der Wortstamm entspricht dann weitestgehend dem sogenannten generischen Maskulinum. Da das stets zuerst ausgesprochen wird, hat der Hörer den Sinn des Wortes damit bereits erfasst. Dann folgt meist eine kurze Pause (beispielsweise im Deutschlandfunk), also ein kurzes Nichts. Und schließlich endet das Konstrukt mit der weiblichen Endung, die stets gleich ist und nichts Essentielles mehr beizutragen hat. Verstärkt also hier die Sprache nicht noch die Vorurteile gegenüber Frauen und LGBTQ+ Menschen?
© Dominik Alexander / 2020
Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.
Ergänzen möchte ich diese Kolumne 666 um drei Literaturhinweise:
- DIN 5008:2020-03 »Schreib- und Gestaltungsregeln für die Text- und Informationsverarbeitung« (direkter Download)
- Bundesverband der Kommunikatoren (BdKom) »Kompendium Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren« Berlin (November) 2020 (direkter Download)
- Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) »Leitlinien der GfdS zu den Möglichkeiten des Genderings« Der Sprachdienst 1–2, 2020.
