Gefahr für die Menschheit

Ich kann Sie natürlich nicht dazu zwingen. Alles, was ich sagen kann, ist, wenn Sie die Tabletten nicht nehmen, sind Sie eine Gefahr; für sich selbst und für andere.

Ich bin eine Gefahr für andere.

Mit diesem Gefühl in der Magengegend gehe ich nach draußen, besteige mein Fahrrad und rausche im Dämmerzustand und im kalten Nieselregen die Grundstraße hinunter. Bin dabei wie in einem Tunnel, der einfach kein Ende nehmen will.

Gefahr. Gelb oder schon rot?

Auch Tage später geht mir dieses Wort nicht mehr aus dem Kopf. Ich bin eine Gefahr für die anderen.

Ist das schon toxisch, mir das zu sagen oder triggert mich das nur? Ist es überhaupt statthaft – im juristischen Sinn? Nur ehrlich? Oder doch schon übergriffig?

Tatsächlich denke ich immer nur an den einen Halbsatz: eine Gefahr für andere. Nie denke ich daran, dass er außerdem gesagt hat, dass ich im nichtzugedröhnten Zustand auch eine Gefahr für mich selbst bin.

Nie hat er gesagt, dass ich in Gefahr bin.

Immer nur, dass ich selbst die Gefahr bin.

I am not in danger; I am the danger.

Wenn ich dabei an Breaking Bad denke, ist das fast schon wieder empowernd, wie die heutige Jugend sagen würde.

Dass mir das immerzu durch den Kopf geht, macht mich allerdings erst zur Gefahr. Das ist wie ein negativer Placeboeffekt – etwas schlimmes tritt ein, weil es in meinem Kopf ist. Bei einer Epilepsie ist das darüber hinaus noch im zweifachen Sinn zu verstehen: Die Epilepsie selbst ist im Kopf einerseits, andererseits denke ich durch die Erinnerung daran und verfalle in Panik, was die Epilepsie jedoch erst triggert.

Stress löst Epilepsien aus. Ein Schluckauf im Hirn. Überspannung, wenn zuviel zusammenkommt. Zuviel Energie muss irgendwohin. Zuviele Gedanken; zuviele Reize; Schlafentzug; Unregelmäßigkeiten.

Gefahr.

Gefahr.

Gefahr.

I am the danger.

Was hat sich dieser Neurologe, der gleichzeitig Psychologe ist, dabei gedacht? Wusste er, dass ich mit dem Fahrrad bei ihm bin? Beim letzten Mal hatte ich noch behauptet, dass ich die Grundstraße nie wieder hinauffahren wollte. Zu lang. Zu permanent steigend. Eine Tortur.

Sie dürfen jetzt ein Jahr lang nicht mit dem Auto fahren.

Habe ich ohnehin nicht. Wie sieht es mit dem Fahrrad aus?

Eigentlich auch nicht.

Mein Hirn klammert sich ans eigentlich. Eigentlich ein schönes Wort. Macht so vieles passend, was eigentlich nicht passt. Eigentlich will ich so wenige Medikamente wie möglich nehmen. Diese Tabletten beflügeln die Lethargie, machen schläfrig, emotionslos, antriebslos.

Ich übertreibe. Bastle mir für meine Lethargie, Schläfrigkeit, Emotions- und Antriebslosigkeit gerne passende Erklärungen. Aber wenn es doch stimmt?

Wir können auch andere Tabletten probieren.

Sagt wir und meint doch mich. Schon wieder neue? Ich habe schon mal gewechselt. Kam gut klar. Jetzt hatte ich mal wieder – nach sieben Jahren ohne Anfall bei keinerlei Medikamenten – einen Anfall. Stressbedingt. Schon will er mich hochstufen.

Sie nehmen nur einmal fünfhundert Milligramm? Dann können Sie ja gleich ein Placebo nehmen.

Will mich auf siebenhundertfünfzig Milligramm hochstufen. Zweimal am Tag.

Einige Wochen später bin ich noch immer bei einmal fünfhundert Milligramm. Schiebe es auf meine Vergesslichkeit. Kommt bestimmt von diesen Tabletten.

Gefahr.


        © Dominik Alexander / 2023

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