Kolumne 666: Sparks

Wahrscheinlich sind die Sparks die am meisten unterschätzte und am wenigsten geschätzte Band weltweit. Nicht nur heute, sondern bis heute und darüber hinaus. Der Sommer 2021 kann daher als »Summer of Sparks« bezeichnet werden. Eine Dokumentation über ihr Leben erschien und der Musical-Film »Annette«, den sie erdacht und geschrieben haben. In Cannes waren sie dabei. Die mediale Aufmerksamkeit schien sie endlich aus ihrem Nischendasein zu heben. Doch dann lief der Film auch in Deutschland an; und alles war wie zuvor.

Erst am Dienstag vor der geplanten Aufführung erschienen plötzlich und ohne Bewerbung »The Sparks Brothers« im Kino-Programm der Dresdner Schauburg. Die einzige Aufführung des Bio-Pics in Dresden über die beiden Brüder, die in Sachen Musik seit fünfzig Jahren stets ihrer Zeit voraus sind. Von daher ist es wohl konsequent, dass sie auch am Sonntag, den 10. Oktober 2021, weitestgehend unbeachtet in Dresden auftauchten.

Mit mir selbst saß nur noch eine junge Frau im Kino. Zuvor war sie bereits in der Leipziger Passage zur wahrscheinlich auch in dieser Stadt einzigen Aufführung der filmischen Biographie über die Brüder aus Los Angeles gewesen, um den Film zu sehen, der weltweit bereits seit besagtem Sommer angelaufen ist und überall mit Kränzen aus vergoldetem Lorbeer überhäuft wurde. Doch bis Dresden hatte es der Hype nicht geschafft: kurzfristige Aufnahme ins Programm, keine Werbung – nicht einmal ein Flyer war zu bekommen.

Die Kopien ernten den Ruhm

Dabei hätte sich die bessere Anpreisung gelohnt. »The Sparks Brothers« ist ein buntes Kaleidoskop, das das bisherige Leben und künstlerische Schaffen von Ron und Russell Mael durchaus chronologisch erzählt, doch immer wieder verwoben mit Tricksequenzen, kurzen Frontal-Interviews und zeitlichen wie thematischen Abschweifungen, die jedoch stets den Kosmos der beiden Brüder berühren. In ihren Anfängen hat Russell beispielsweise versucht, die Exaltiertheit eines Mick Jagger nachzuahmen, wobei er selbst sagt, dass er lediglich eine schlechte Kopie gewesen sei.

Andere haben es bei ihnen deutlich besser gemacht. So haben die Sparks bereits Ende der 1970er Jahre den sogenannten Synthie-Pop erfunden. Den stoischen Keyboarder mit dem tanzenden Sänger haben später auch Bands wie Erasure und die Pet Shop Boys. Doch weil die Sparks sich musikalisch immer wieder veränderten und auch ihr Äußeres nie gleich blieb, hieß es 1994 plötzlich, als sie nach sechs Jahren halb gewollter, halb erzwungener Pause mit »Gratuitous Sax & Senseless Violins« ihr mittlerweile sechzehntes Album publizierten, sie selbst seien es, die eben genannte Bands kopierten.

Nur ernsthafte Kunst ist Kunst

Dass die Sparks als Marke nie über die Grenzen des Underground hinausgekommen sind, liegt wohl vor allem daran, dass sie sich selbst nie festlegen wollten. Nach einem Musikalbum war stets vor einem Musikalbum, mit dem sie sich jeweils konsequent neu erfanden. Für den Fan eines Albums bedeutete das, dass er mit dem nächsten Album nichts Ähnliches bekam, sondern sich auf etwas Neues einlassen musste. Wie wir heutzutage von Algorithmen bei Amazon, iTunes, Spotify, Netflix etc. wissen, ticken Fans so aber nicht.

Gefragt ist nicht das immer Neue, sondern das immer Gleiche. Wer missverstanden wird oder permanent für Irritationen sorgt, weil er durch groteske Liedtexte zum Schmunzeln anregt, aber eigentlich ernst genommen werden will, der stößt andere ab, statt sie für sich einzunehmen. Auch in der Musik will sich der Mensch sicher fühlen. Doch ist die Musik immer wieder neu oder gar ihrer Zeit voraus, erzeugt sie Widerstand und Abkehr.

​Den Erfolg genießen? Nicht mit uns!

Das offensichtlichste Missverständnis war gewiss die Verwechslung von Charlie Chaplin mit Adolf Hitler. Eigentlich grotesk, wenn man dabei an den »Great Dictator« denkt. Ron Mael hatte mit seinem Bärtchen, den dunkel geschminkten Augen und den weiten Hosen an den Clown erinnern wollen, nicht an den Massenmörder. Und wenn man sie über all die Irritationen reden hört, sind da schon auch etwas Wehmut und Traurigkeit.

Doch am Ende des Films werden die beiden Brüder schon wieder clownesk, wenn sie alberne Behauptungen über sich stoisch in die Kamera sprechen. Da sprüht noch immer jede Menge Fantasie. Mit etwas Glück und medizinischem Fortschritt, wie Russell scherzt, könnten sie am Ende sogar auf zweihundert Alben kommen.


        © Dominik Alexander / 2021


Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.

Kolumne-666_The-Sparks-Brothers_Russell-and-Ron-Mael_windows
© Universal Pictures

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