»Max Schreck macht dann keine Karriere mehr. Das lag vielleicht auch daran, dass der Film verlorenging.« Als Jan Kindler, Leiter Kommunikation des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr (MHM), diesen Satz am Ende seiner Einführung zu Nosferatu gesagt hatte, fühlte ich mich herausgefordert. Wer war dieser Mann, an den wir uns heute nur noch in dieser furchtbaren Maske erinnern? Und hat er wirklich keine Karriere mehr gemacht?
Am Anfang stand eine Ankündigung bei Facebook. Und ein wunderbares Ankündigungsplakat nach Art des Jugendstils. Das MHM in Dresden lud am 14. Oktober 2021 aus Anlass des einhundertjährigen Jubiläums von Friedrich Wilhelm Murnaus »Symphonie des Grauens« zur Neuvertonung des Stummfilmklassikers.
Das Musikduo Olicía und Assimilation Project rückten Nosferatu mit digitalen Jazzloops, elektronischen Ambientwellen und improvisierten Rhythmen auf den blassen, hageren Leib. Wer die klassische musikalische Begleitung von Hans Erdmann noch im Ohr hatte, war dennoch von Beginn an gefesselt. Der Klassiker wurde nicht entstellt, sondern erfuhr eine Hommage, die das visuelle Grauen verstärkte und den Film insgesamt überraschend modern erscheinen ließ.
Max Schreck als Nosferatu
Wer über Max Schreck, den Darsteller des Grafen Orlok / Nosferatu mehr erfahren möchte, stößt rasch an seine Grenzen. 1879 geboren und 1936 mit nur 56 Jahren verstorben. Dazwischen liegen mehr als siebenhundert Theaterrollen und fünfzig Filmrollen. Doch wirklich bekannt geworden ist er posthum, weit über seinen Tod hinaus. Dazu trugen auch sein Name, der in Nosferatu geradezu Programm war, und sein privater Charakter bei. Denn Max Schreck ist wohl weitestgehend in seinem Beruf als Schauspieler aufgegangen. Berühmt war er für die virtuose Gestaltung seiner Masken.
Privat liebte er die Natur und lange Spaziergänge. Er pflegte ein Einzelgängerdasein, das mit dem Status eines großen Filmstars nicht vereinbar war. Mit Nosferatu hätte er bekannt werden können, nicht aber berühmt. Zu nischenhaft war das Genre, in dem sich der Film bewegte, zu wenig massentauglich, zudem kurz nach dem Ersten Weltkrieg thematisch eher verstörend als unterhaltsam. Dazu kam, dass 1925 die Witwe von Bram Stoker erfolgreich die Vernichtung sämtlicher Film-Kopien in Deutschland veranlassen ließ. Zu deutlich war das Plagiat von Dracula gewesen.
Die Angst kauerte in allen Winkeln der Stadt
Doch Nosferatu hatte durchaus andere Facetten. Neben anderen Namen der Charaktere und örtlicher sowie zeitlicher Verschiebung ist es hauptsächlich der Protagonist selbst, der die wohl deutlichste Veränderung gegenüber Stokers ursprünglichem Dracula erfährt. In Graf Orloks Blutdurst liegt nicht der Drang nach Fortpflanzung begründet, indem er den gebissenen Menschen in einen Vampir verwandelt. Es ist eine andere Art von Fortpflanzung, nämlich die Vermittlung eines bestimmten Gefühls: die Angst; im übertragenen Sinn: das Virus des Unsichtbaren.
Murnau hatte seinen Nosferatu in einer Zeit spielen lassen, als eine große Pestwelle über Deutschland hinwegfegte. Ratten waren als Überträger identifiziert. Und so ist die Metapher der Särge als Wiege des Todes leicht zu entschlüsseln. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg funktioniert Graf Orlok / Nosferatu aber auch als Personifikation des Krieges. Tatsächlich bedeutet »oorlog« im Niederländischen »Krieg«. Die Bezeichnung »Nosferatu« stammt vermutlich aus dem Rumänischen und war als »nesuferitu« eine Umschreibung für den Teufel. Heutzutage ist ein »om nesuferit« ein unerträglicher Mensch.
Wer hat Corona? Wer ist geimpft?
Mit der modernen, zuweilen hypnotischen musikalischen Untermalung des Filmklassikers keimen sogar aktuelle Bezüge auf. Ähnlich wie das Pest-Virus ist auch das Corona-Virus unsichtbar. So unsichtbar, wie Nosferatu, der ungesehen im fiktiven Wisborg (gedreht wurde in Wismar und Lübeck) anlandet und den Schrecken in alle Winkel der Stadt trägt. Wie es oft der Fall ist, wenn eine unsichtbare Gefahr schwelt, wird ein Sündenbock gesucht. Am Ende ist es jedoch die junge Frau, die sich opfert und damit die Stadt rettet.
Die Hetzjagden, Verhöre und Verleumdungen zuvor wecken indes beklemmende Gefühle. Denn wer kann sich von jenen Fragen freimachen, wenn er heutzutage maskiert durch die Straßen einer Stadt läuft: Wer hat Corona? Wer von euch ist nicht geimpft? Sollte der nicht in Quarantäne sein? Der Krieg oder ein Virus zerstört nicht nur unmittelbar; er hat vor allem Langzeitfolgen, indem er das Liebste nimmt oder eine Gesellschaft spaltet. Und am Ende erscheint sogar der naturliebende Spaziergänger Max Schreck schrecklich modern.
© Dominik Alexander / 2021
Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.
Wer mehr über Max Schreck erfahren möchte, dem sei die Biographie »Max Schreck. Gespenstertheater« von Stefan Eickhoff (München, 2009) empfohlen. Das wunderbare Ankündigungsplakat zu »Nosferatu« im MHM stammt von Lars P. Krause und kann in seinem Douze Printshop käuflich erworben werden. Die Auflage liegt bei 80 Stück.
100 Jahre Nosferatu – Film-Live-Konzert mit Olicía und Assimilation Process von hechtfilm – filmproduktion.