Guerilla-Gärtnern in der Stadt

Für fünf lange Minuten auf meinem Balkon hat mich die Abendsonne heute geblendet. Ich kam gerade von einer Guerilla-Fahrt von Loschwitz in die Niederungen der Stadt zurück, hatte meinen Pullover ausgezogen und hing meinen Gedanken nach. Immer wenn ich meinen Neurologen angelogen habe, fühle ich mich ein wenig als Figura etymologica. Ja, ja, die Tabletten habe ich genau so genommen wie befohlen. Das neue Rezept eingesteckt, zurück zum Fahrrad und ab dafür. Ein paar Regentropfen einfangen. Ist schließlich noch immer April. Und dann zu Hause erstmal einen halben Liter Kaffee. Immerhin hatte ich meinem Neurologen glaubhaft versichert, dass ich wegen der Tabletten jetzt schon ab und zu müder und letargischer sei als sonst. Da bräuchte ich jetzt schon den ein oder anderen Kaffee mehr.

Und stand schließlich mit dem Pott am Fenster und genoss die letzte Sonne des Tages. Habe auf das grüne Dach von gegenüber geschaut, wo seit meinem Einzug vor fünf Monaten fast täglich Bauarbeiten stattfinden. Zuerst Flutlicht. Kurz darauf Geräuschkulisse wie auf einem Braunkohletagebau. Und da ist es erst fünf Uhr dreißig. Immerhin: Sonntags haben wir Ruhe. Ein Jahr lang soll das noch so gehen. Vielleicht fahre ich im Sommer für drei Monate an die Nordsee. Am besten Helgoland. Und dann die Seeluft mit den Möwen mitnehmen in den Süden. Hier können sie sich mit den Krähen schlagen. Oder sich verbünden.

Dann lieber doch hierbleiben. Um zehn ins Bett. Um fünf wieder raus. Noch vor dem Flutlicht. Oder auch die vierte Jalousie herunterrollen. Fenster geschlossen. Keine Frischluft in der Nacht? Das funktioniert nicht. Ich brauche die Insekten im Schlafzimmer. Ich weiß doch erst, dass Sommer ist, wenn mich die Mücken zum Streuselkuchen gestochen haben.

Morgen gibt’s noch einmal Käsekuchen, der hier Quarktorte heißt. Dann komme ich auch wieder an einer riesigen Freifläche vorbei. Wundere mich jedesmal, dass die noch so frei in der Gegend liegt. Sollte die im Sommer etwa zu einer dieser berühmt-berüchtigten Insektenwiesen werden? Ein entsprechendes Schild habe ich dort noch nicht entdeckt. Ansonsten stehen am Rand dieser Grünflächen immer Schilder. Damit der Deutsche weiß, dass das alles seine Ordnung hat, wenn die Gräser mal etwas zu lang und zu bunt sind. Oft deutet auch ein in der Nähe stehendes Insektenhotel darauf hin.

Für Insekten ist vielleicht auch die grüne Fläche auf dem Hausdach gegenüber gedacht. Vielleicht aber auch als feingestutzter Rasen neben einem noch nicht angelegten Swimmingpool für die Angstellten der Wohnungsgenossenschaft. Entweder dort drüben steht irgendwann ein Insektenhotel auf dem Dach. Oder ich stelle mir eins auf meinen Balkon. Immerhin kann ich meinen Hanf bald auch sichtbar anbauen. Neben Basilikum, Lavendel, Radieschen und was ich noch in meinen beiden Kräuterkästen unterbringe. Von all dem sollen auch Bienen, Hummeln und andere geflügelte Wesen etwas haben. Und es direkt gewinnbringend verwerten.

Wenn man etwas außerhalb der Stadt an der Elbe entlangfährt, schwebt man an Obstplantagen, Kräuterwiesen und Beerenhecken vorbei. Hier und da ein kleiner Mundraub, und schon gibt es am Abend einen grünen Salat mit Kräuterquark und Obstjoghurt. So gefällt mir dann auch das Guerilla-Leben in der neuen Hood.


        © Dominik Alexander / 2023

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