Totengesang

Von den meisten Toten bleibt nur noch der Name
Ein Grabstein nur mit salbungsvollen Worten
Hier ruht mein heißgeliebter, herzensguter Mann
Ich hab dabei ein Bild im Kopf
Von einem tyrannischen Gatten
Vor dem die Frau auch noch in seinem Grabe Angst zu haben scheint —

Ich sitze hier auf einer Bank
Als Friedhofsbesucher
Als Totensucher
Oft zwitschern hier die Vögel mehr als sonst
Das Jubilieren ist Sang und Gegengesang
Dazwischen gurren ein paar Tauben
Der Specht schlägt seinen Takt dazu
Eine Symphonie für die Toten
Und ihre Besucher
Sie könnte schöner gar nicht sein
Applaus jedoch geriert sich sehr verhalten
Und hat das Stück ja auch kein Ende
Der Wandel allerdings vollzieht sich schon —

Ein Harken und Gießen dringt an Ohren
Die zuhören
Oft sind es alte Leute
Die ihre Eltern
Oder vier zu jung verstorbene Kinder
Hier besuchen
Hand in Hand
Wer Glück hat
Ist bereits alt
Wenn er die Eltern hier zu Grabe trägt
Dann tut es nicht mehr so weh
Weil es nicht mehr lange dauert
Bis man selbst in der feuchten Erde ruhen kann —

Schnell ist das gesagt:
Ruhen können wir, wenn wir tot sind
Sind das die Gläubigen
Die eisern jeden Gedanken daran klammern
Dass jenseits es ganz sicher besser wird
Die Seele sei dann frei
Und kann hin, wo sie auch mag
Vielleicht schwebt es auch nur hier
Über den Gräbern
Beim Grab des Fleisches
Weil unsichtbares Band sie daran hindert
Wahrhaftig frei zu sein —

Wie wäre das
Im Paradies
Wie schmeckt wohl die Unendlichkeit?
Ohne langweilig zu sein?
Macht deshalb man den Körper sich kaputt im Leben?
Weil er ja ist
Was man nicht mit sich nehmen kann?

Bewusstsein ist die Seele
Ein immerwährender Gedankenfluss
Auch über den Tod hinaus
Und vielmehr noch als Mensch mit Körper —

Der Friedhof ist wie eine Wüste
Man ist mit seinen Gedanken ganz allein
Man fragt sich
Was soll ich hier auf Erden?
Weshalb haben mich die Eltern ins Leben geworfen?
Aus Egoismus?
Weil es eben sein muss?
Weil die Art sich doch erhält?
Und man den Beitrag nicht verweigern kann —

Lebt es sich einfacher
Wenn man einfach lebt
Und nicht mehr denkt
Wenn man den Körper strapaziert
So dass der Kopf gar nicht mehr denken kann —

Wahrscheinlich ist das schon das Ideal
Den eignen Kopf der Natur zu überlassen
Nicht denken sondern
Nur noch schaffen
Um irgendwann auch hier zu enden
Und bestenfalls die Seele ziehen lassen
Auf dass sie eingeht
In den Äther aller Moleküle
Und hoffentlich zurückzukehren
Als Krähe oder Akelei.


        © Dominik Alexander / 2023

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