Unterwegs war ich. Mit dem Fahrrad. Mal wieder. Um von A nach B zu kommen. Wenn ich das Rad aus dem Keller hole, denke ich mir immer: Das wird gut; ich werde frei sein; kann mir von der Straße aus die zusammengepferchten Menschen in Straßenbahn und Bus anschauen, kann sie anlächeln oder bedauern – je nach Tagesstimmung und Verfasstheit. Es könnte wieder gestreikt werden. Dann sitze ich auf meinem Rad und rolle entspannt meinem Ziel entgegen.
Doch das sind ja nur Träume, Vorstellungen, Idealzustände. Tatsächlich blendet mich die Sonne, wo mir anderntags Regen aufs Gemüt plätscherte. Die Autos rauschen stoisch an mir vorbei – wenn ich Glück habe. Vielleicht weiche ich ihnen auch gerade noch so aus – wenn ich ebenfalls Glück habe. Das Unglück versuche ich auszublenden.
Heute habe ich vier Ziele. Drei davon lassen sich schnell erledigen. Rein, raus, fertig. Keines davon dauert länger als zwei Minuten. Für das vierte nehme ich mir ein Buch zum Lesen mit, dazu noch drei unterschiedliche Hefte und Bücher zum Schreiben. Ich rechne mit mindestens zwei Stunden Wartezeit. Da kann ich viel lesen und einiges schreiben. Beim Zahnarzt im Wartezimmer kommen und gehen bestellte Patienten. Es gibt Interaktionen, schlechte Illustrierte, einen großen Bildschirm mit Naturdokumentationen. So viel Inspiration. Da schaffe ich doch mindestens zwei Gedichte, eine Kurzgeschichte und komme bestimmt auf fünfzig Seiten Lektüre.
Müßig zu erwähnen, dass ich keinen Termin habe. Heute bin ich mal ein Akutfall, der zudem nur gesetzlich versichert ist. Trotzdem werde ich direkt durchgewunken. Nach fünf Minuten habe ich eine Röntgenaufnahme über mich ergehen lassen. Weitere fünf Minuten später liege ich auf dem Behandlungsstuhl. Dort kann ich weder schreiben noch lesen. Selbst die Naturdokumentation über mir an der Decke gibt nicht viel her.
Mit meinem Provisorium am Zahn schwinge ich mich zehn Minuten später wieder aufs Rad. Die Sonne steht diesmal in meinem Rücken. Doch mein Kopf ist leer. Wegen meiner Vorfreude auf die produktive Wartezeit, die mir entgangen ist. Ich sollte mich nicht beschweren. Mache das auch nicht. Stattdessen denke ich gar nichts. Das ist schlimmer. Weil ich so nur über die Leere im Kopf schreiben kann und über die Hoffnung, dass es morgen wieder besser ist.
© Dominik Alexander / 2023
Morgen ist alles besser, das lernen wir schon im Vorschulalter. Dann vergessen wir das wieder. Aber das Geschäftsmodell der Esoteriker knüpft wieder daran an. Und schon ist es wieder Allgemeingut. Dein Zahn wird aber sicher 👍
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Tja, ich sage mal so: mit einem vierstelligen geldwerten Betrag werden die Zähne ganz sicher super.
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Ui, das hört sich nicht nach einem Schnäppchen an. Ich drücke Dir die Daumen! Zähne zusammenbeißen und durch wäre ja nicht ich angebracht.
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Da ich mir das gegenwärtig nicht leisten kann, werde ich erstmal nur das machen lassen, weswegen ich ursprünglich zum ZA gegangen bin. Das andere kann noch etwas warten.
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Wenn man jung ist, hat man das Geld nicht dafür, wenn man es dann hat, fehlen die Zähne.
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