Wenn die Geister mit der Dunkelheit aus dem feuchten Erdreich kriechen, sich vage umschauen und dann zitternd das Mondlicht suchen, das ja kein Mondlicht ist, sondern die Reflexion des Sonnenlichts, dann wiederum vielleicht doch Mondlicht ist, wenn auch nur ein passives – ach, denkt einfach mal selbst darüber nach – entdeckt ein anderer Geist seinen Meister in den viel ferneren Sternen, die ihr Licht selbst ausstrahlen. Oder ist auch das nur eine Reflexion von uns selbst? Doch wir wollen nicht so tun, als würde alles von uns ausgehen, als seien wir der Mittelpunkt der Welt. Es heißt, jeder sei der Mittelpunkt der Welt. Überall ist das Zentrum. Wir ziehen uns an und stoßen uns ab. Tagtäglich das immer gleiche Spiel mit den Anziehungskräften, den Abstoßungsrhythmen, mit denen wir uns durch die Musik des Lebens tanzen. Dahingleiten durch die Ströme des Nichts. Immer auf der Suche nach dem Abgrund, damit wir uns lebendig fühlen können. Von irgendwo säuselt eine Melodie auf uns zu. Klänge der Mandoline; eine Laute und plötzlich wispern verständliche Worte durch den Raum:
hab immer nur gewollt
doch nie bekommen
hab immer nur gegeben
doch nie genommen
hab immer nur gehofft
auf breite straßen
hab immer nur die schmalen gassen mir gesucht
doch nie den ausweg
hab immer nur gezeigt wie etwas geht
doch selber nichts getan dafür
hab immer nur den andern zugehört
doch nie ein offenes ohr gespürt
hab immer nur gewartet
auf den goldnen ritter
und wollt doch selbst der ritter sein
hab immer nur geschaut
doch nie geredet
und hab ichs mal getan
war niemand da;
Erneut sind sie gekommen und vergangen. Ein Tag nur im schon nicht mehr ganz so neuen Jahr. Der Frühling lauert noch immer im Geäst, will noch nicht so recht herunter. Es scheint, als wollte er den einen Tag noch an sich vorübergleiten sehen. Ist beinahe ebenso abergläubisch wie ich. Dabei habe ich mit diesem Tag doch gar nichts zu tun. Ist ja ohnehin ein jeder Tag so gut und schlecht wie die dreihundertvierundsechzig und ein Viertel anderen des Jahres. Und doch schaudere ich jedes Mal aufs Neue vor den Iden des März. Eingebrannt ins kulturell-politische Menschheitsgedächtnis (der europäischen Geschichte) als schicksalsträchtiger Tag, als Zeitenwende, da dieses Wort noch das war, was es auszusagen schien. Heute nur noch Worthülse einer lang vergangnen Epoche. Noch sind ein paar Momente frisch an diesem Abend, diesem Zentrum allen Anfangs. Noch sind nicht alle Sekunden gelebt vom Jahresabschnitt, den nicht mehr der Mond bestimmt, sondern die Sonne. Das Schicksal ist ja nichts, dem wir nur ausgeliefert sind. Es hängt nur davon ab, wie hoch wir stehen, wie tief wir fallen zu vermögen.
still nun
still
ihr iden
ich muss jetzt gehen
du hast dich abgemüht
wie jedes jahr
und konntest mich nicht kriegen.
© Dominik Alexander / 2023
Die Iden des März scheinen auf dem Börsenparkett angekommen zu sein und werfen lange Schatten. Großartiger Text, danke!
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Vielen Dank! Da ich nicht so wirtschaftsaffin bin, magst Du mir den Börseneinwurf eventuell kurz erklären? Sanken gestern sämtliche Kurse?
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Credit Suisse ist schlimm abgestürzt, braucht jetzt 50 Mrd Kredit, um über die Runden zu kommen. Natürlich haben die anderen Banktitel auch kräftig nachgegeben. Und da kommt noch einiges nach.
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Vielen Dank für die Information. Habe gerade einen Kurzbeitrag dazu im Deutschlandfunk gehört. Das ist wirklich heftig, und ich befürchte, dass das mal wieder ein hausgemachtes Problem ist.
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Wenn man im großen Stil Geld wäscht und mit heruntergelassenen Hosen erwischt wird, kann man schon von hausgemacht sprechen. Nur sind viele andere Banken um nichts besser. Biden musste erklären, dass die Einlagen bei allen US Banken gesichert seien, sonst hätte es einen bankrun gegeben. Das zeigt in etwa, wie prekär die Lage ist. Als nächstes werden wir m. E. von London “überrascht” werden.
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Nach der Bankenkrise 2008 gab es viele Stimmen, die meinten, dass die Bänker nun daraus lernen würden. Das habe ich bereits damals als illusorisch belächelt. Wer an der Quelle sitzt, lässt das gute Wasser doch nicht einfach vorüberziehen. Eine weitere Platitüde: Gelegenheit macht Diebe.
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