Wer in deine Augen schaut
Versinkt in ihnen wie in einem Fluss
Das klingt nach Platitüde
Nach billiger Poesiemetapher
Und soll am Ende doch nur zeigen
Dass ich gern tiefer schauen möchte
Hinter die offenbare Maske
Die jeder von dir kennt
Der flüchtig deine Wege kreuzt
Wenn das bei sich steigerndem Homeoffice überhaupt noch passiert
Heute kommt dann noch Streik dazu
Schnee
Und überhaupt Kälte
Menschliche vor allem
Da will ich mich dem Verkehr gar nicht stellen
Dem schnellen
Der mit Platitüden nichts anfangen kann
Sondern wie üblich nur an sich denkt
Brummende Miesmuscheln in ihrer Schale
Und taucht jemand im Rückspiegel auf
Schwillt ein Konzert an
Aus lauter Blechbläsern
Lauten
Wenn sie es nur wären
Lauten und Harfen
Doch das ist ein anderes Konzert
Nicht auf der Straße
In meinem abendlichen Denken
Ohne jegliche Ablenkung draußen vor dem Fenster
Wo ich der verborgenen Sonne beim Untergehen zuschaue
An deine Maske denke
Die so gleichförmig in den Tag hineinschaut
Was ich hier schreibe
Sind ja nur Assoziationen
Die mich wieder ins Schreiben hineinbringen sollen
Denn die Wahrheit ist
Ich schaue in gar keinen Fluss
Hier gibt es keine Augen
Nur im Spiegel sind welche
Wenn ich selbst hineinschaue
Deine Augen sind kein Fluss
Sondern vielmehr eine Tropfsteinhöhle
Wo sich aus Stalaktiten Stalakmiten formen
Was sehr lange dauert
Aber so von Dauer ist
Weil jeder zu gelangweilt ist
Vom viel zu langen Schauen
Schönheit wird ja erst begriffen
Wenn es zu spät ist
Und dann ist sowieso alles verloren
Ein Leben lang jage ich etwas hinterher
Das ich doch nie greifen werde
Die Maske herunterreißen
Und in etwas schauen
Das nur ein Alptraum sein kann
Vorstellungen verdichten sich zu Träumen
Werden zu Schreckensbildern
Von denen du in der Nacht schreiend aufwachst
Bald ist Abend
Wo vor einem Monat noch Nacht war
Ist jetzt gerade noch Tag
Ein graues Flimmern im abendlichen Nieselregen
Die Straße glänzt bereits seit dem frühen Morgen
Der Große Garten sah in seinem Puderzuckerkleid heute früh so schön aus
Dicke Flocken klatschten mir ins Gesicht
Doch das störte mich nicht
So wenig
Dass ich hier zum Schluss mal wieder ins Reimen komme
Ungewollt
Versteht sich
Ungereimte Lyrik wollte ich schreiben
Damit ich mich gleich in der Küche richtig verausgaben kann
Beim Möhrenmassaker und Zucchinigemetzel
Außerdem werde ich meinen grünen Tee ganz heiß trinken
Weil mir die morgendlichen Schneeflocken nicht nur ins Gesicht
Sondern auch unter meine Jacke gefallen sind
Das kann nur verstehen
Wer auch bei diesem Wetter auf dem Fahrrad unterwegs ist
Wer sich nicht im Homeoffice verschanzt
Wenn die Öffentlichen streiken
Dabei war die Einundsechzig heute unterwegs
Ich dachte schon
Ich hätte heute den falschen Tag erwischt
Irgendwie bin ich wieder nach Hause gekommen
Und seitdem nicht mehr nach draußen
Man glaubt gar nicht
Wie schnell so ein Tag vergehen kann
Wenn man vor einem leuchtenden Bildschirm sitzt
Und versucht
Ein Gedicht zu schreiben
Wenn dumpfe Kopfschmerzen am Hirn zerren
Wird das Warten auf den Schreibfluss zum geistigen Marathon
Dann tanzt der Schnee vom Morgen wie wild im Kopf herum
So lange
Bis ich einfach mal aufstehe
Aus dem Zimmer gehe
Auf den Balkon in die Kälte
Damit die eingesperrten Flocken
Die ich von draußen hereingeholt habe
Nach draußen können
Ich befreie die Schneeflocken
Und befreie gleichzeitig mich
Reiße mir die Maske aus dem Hirn
Setze mich zurück an die Tastatur
Und schreibe deine Augen zurück in den immerfließenden Fluss.
© Dominik Alexander / 2023