Die digitale Filterblase hat uns im Griff. Ob wir es wollen oder nicht. Wer sich ins Internet begibt, engt über kurz oder lang sein Gesichtsfeld ein. Der Horizont wird verkürzt. Das Denken in geregelte Bahnen gelenkt. Der digitale Logarithmus sorgt für Angst in der realen Welt. Draußen auf der Straße. Ein Versuch, dem logarithmischen Kreislauf zu entkommen.
Seit Oktober 2008 bin ich bei Twitter aktiv. Mal mehr, mal weniger. Am Anfang hat mich das dortige Konzept begeistert: nur Text. Kurze, knackige, pointierte Aussagen. Auf den Punkt formulierte Statements. Ohne Katzenbilder. Genau die waren es gewesen, die mich von Faceboook vertrieben hatten. Damals. In dieser beinahe anarchischen Anfangszeit, in der Tweets auf 140 Zeichen begrenzt waren, weil das genau die mögliche Zeichenzahl einer SMS vom Handy aus war. Damals waren die Handys von Nokia noch Standard. Smartphones waren das noch nicht.
Seit dieser Zeit kam es immer wieder vor, dass ich in meiner Timeline oder unter bestimmten #Hashtags Statements gelesen habe, die nicht meinem Weltbild entsprachen, die unflätig formuliert waren, mit einer Menge Piktogrammen die Sprache garnierten, etc. In der Anfangszeit war Twitter noch eine Nische für intellektuelle Nutzer. Mittlerweile tummeln sich dort aber auch Menschen wie Donald Trump, diverse Bots, Trolle und sonstige Menschen, die gerne ihre ungefilterte Wut irgendwo abladen wollen. Dass sie das in diesem öffentlichen Medium tun, hat Twitter dazu veranlasst, für seine Nutzer die Möglichkeit des Blockens und Stummschaltens einzurichten. Wovon ich seitdem regen Gebrauch gemacht habe.
Von der punktuellen Erregung zur permanenten Irritation
Wenn wir in einer Stadt durch die Straßen laufen, treten Menschen permanent in Interaktion miteinander. Ungefiltert treffen sie auf Bekanntes und Neues, auf Freunde und vermeintliche Feinde. Die Interaktion besteht meist jedoch nur darin, aneinander vorbei zu laufen. Oder die Straßenseite zu wechseln, wenn ein entgegenkommender Mensch zu fremd aussieht und damit Angst hervorruft. Die Angst entsteht zunächst nur dadurch, dass wir etwas nicht kennen. Um es oder ihn kennenzulernen, müssten wir mit ihm reden. Doch dazu kommt es auf der Straße, in dieser flüchtigen Begegnung, nicht. Wir werden konfrontiert, ziehen uns jedoch zurück. Wir wollen uns mit diesem Neuen nicht beschäftigen. Nicht etwa, weil das zu viel Mühe macht oder wir gerade keine Zeit haben. Sondern: weil wir es von Twitter und Co. so gelernt haben.
Das beständige Blockieren und Stummschalten missliebiger Meinungen und Menschen im Netz ist eine bequeme Art, sich auf dem Wissensstand auszuruhen, den man bereits erworben hat. Verkaufsplattformen wie Amazon oder Suchmaschinen wie Google haben uns Scheuklappen anerzogen. Geben wir einen Suchbegriff ein, werden uns zehn ähnliche Seiten vorgeschlagen. Und in den nächsten Wochen werden wir bei Onlineaktivitäten immer wieder auf Produkte aufmerksam gemacht, die etwas mit jener Suchanfrage zu tun haben. Tritt doch einmal ein verbaler Widerstand im Netz vor unsere Augen, erregen wir uns kurz und blockieren sofort, um wieder Ruhe zu haben. Wenn die punktuelle Erregung jedoch chronisch wird, wird uns alles Neue nicht mehr interessieren oder neugierig machen, sondern irritieren und abstoßen.
Wovor schützen Filterblasen wirklich?
Kürzlich habe ich das Buch “Streit!” von Meredith Haaf gelesen. Von einigen Schwächen zum Ende hin abgesehen, entwickelt die Schrift interessante Gedankengänge, die sich mit dem Streit im Netz und auf der Straße beschäftigen. Besonders ein Gedanke hat mich dazu gebracht, alle von mir bisher blockierten und auf stumm gestellten Twitter-Accounts wieder zu aktivieren, also für mich sicht- und lesbar zu stellen.
Bei diesem Gedanken geht es um die Angst und was sie mit Menschen macht, wenn sie nicht abgebaut, sondern verstärkt wird. Angst artikuliert sich in Wut, weil Schwächen nicht eingestanden werden wollen und Nachfragen längere Beschäftigung nach sich ziehen würde. Permanente Wut generiert wiederum Zorn, der sich dauerhaft einnisten und dann kaum noch abgebaut werden kann. Filterblasen verstärken das Gefühl der Angst, wenn nur die eigene Meinung bestätigt wird. Genauso funktioniert übrigens auch Pegida – als reale Filterblase, die nichts Fremdes an sich heranlässt, um das wohlige Gefühl der Selbstbestätigung nicht zu verlieren. Letztlich schützen Filterblasen also vor ernsthafter Auseinandersetzung mit anderen Meinungen. Sie festigen das eigene Weltbild und verstärken die Angst.
© Dominik Alexander / 2019
Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.
Das Buch “Streit!” von Meredith Haaf ist bei DTV erschienen und kostet dort €18 (Hardcover) resp. €13,99 (E-Book). Als Softcover gibt es die Schrift bei der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung auch kostenfrei.
