Die SG Dynamo Dresden ist gleichermaßen beliebt wie berüchtigt. Im Westen verhasst, wird der ostdeutsche Fußballverein in Dresden und Peripherie verehrt. Hier wird ein Mythos zelebriert, der ganz eng mit der besonderen Geschichte der Stadt selbst, der DDR im Allgemeinen und der Wende im Besonderen verwoben ist.
Wenn ich mich mit anderen Menschen über meine Geburtsstadt Dresden unterhalte, ist die Resonanz bipolar. Einerseits höre ich Schwärmereien von der barocken Altstadt mit Canaletto-Blick und Alten Meistern, dann wieder mitfühlendes Beileid über die Bombardierung eben jener Altstadt am Ende des Zweiten Weltkriegs. Andererseits verdunkeln sich die Blicke, wenn ich Dresden erwähne und wenn bei den Menschen, mit denen ich spreche, eher Pegida und Krawallfans von Dynamo Dresden mit der Stadt an der Elbe verbunden sind.
Auffällig ist der glatte Schwarz-Weiß-Bruch. Es gibt kein Grau, keine neutrale Meinung zu jener Stadt, die vor der politischen Wende Zentrum im sogenannten »Tal der Ahnungslosen« war. Das war jener Teil der ehemaligen DDR, der sogar von krisseligem West-Fernsehen ausgeschlossen war. Vor 1989 lebte Dresden und sein Umland nicht vom Hoffen und Sehnen auf eine Zukunft, von der man ab und zu ein paar Schnipsel zugeworfen bekam, sondern von der Erinnerung an eine glanzvolle Vergangenheit. Und genau dieses Denken und Fühlen spiegelt sich auch in der SG Dynamo Dresden.
Die Legende aus Elbflorenz
Zum selbsterklärten Leitbild des Vereins gehört es, sich dauerhaft in der 1. Fußball-Bundesliga zu etablieren. Das heimische Stadion ist erstligatauglich, die Zuschauerzahlen bei den Heimspielen (vor Corona) waren selbst für die 2. Bundesliga herausragend. Und bei Auswärtsspielen sorgten die Dynamo-Fans in den Orten der jeweiligen Gastgeber regelmäßig für Aufsehen. Da kann auch der missliche Abstieg in die 3. Liga das Elbwasser nicht trüben. Denn Dynamo wäre nicht Dynamo, wenn es aus diesem sportlichen Misserfolg nicht doch etwas Positives herausholen würde.
Ein interessanter Umstand macht es beispielsweise möglich, dass in der Saison 2020/21 über dem Vereinslogo auf der Trikotbrust zusätzlich ein Stern mit einer kleinen »8« prangt. Die Zahl erinnert an die acht DDR-Meistertitel des Vereins. In der 3. Liga unterliegt Dynamo Dresden nicht mehr den Regularien und Statistiken des Vermarkters der Fernsehrechte, der Deutschen Fußball Liga. Und so kann Dynamo Dresden seine Vergangenheit überhöhen, wenn es sportlich gerade nicht so läuft.
Weitere Mythen und Legenden tragen zur Glorifizierung des Vereins bei: beispielsweise der Stifter des ersten richtigen Stadions an der Lennéstraße 12, der Geheime Hofrat Hermann Ilgen, der seinen Reichtum dem Verkauf von Rattengift verdankte. Ab 1937 trug die Arena zeittypisch denn auch seinen Namen: Ilgen-Kampfbahn. Der sogenannte »Dresdner Kreisel«, Dynamos besondere Spielweise in den 1970ern, die Verein und Stadt fünf von jenen acht DDR-Meistertiteln und ein paar denkwürdige Europapokalspiele bescherte. Aber auch die Gegnerschaft zum sogenannten Stasi-Verein BFC Dynamo, die in den 1980ern für reichlich Gesprächsstoff sorgte.
Der Verein mit den Hooligans
Hierin besteht eine Ursache für diese besondere Mischung aus Stolz auf die Vergangenheit, Misstrauen gegen die Obrigkeit, insbesondere den »Westen« und den berüchtigten blinden Fleck gegenüber missliebigen Tönen über den Verein. Zu DDR-Zeiten war Dynamo Dresden einerseits Sammelbecken für subversive Elemente, die sich gegen die Staatsmacht stellten, andererseits wurden nicht selten Talente zum BFC delegiert. Die DDR-Flucht schien beständig Thema zu sein. Fluchtwillige Spieler wurden entdeckt und entlassen oder gar zu Gefängnisstrafen verurteilt; dann wieder wurden systemkritische Fußballer nach Dresden zwangsversetzt.
Schließlich dann die Wende: Dynamo 1990 als letzter DDR-Meister. Ein gewisser Rolf-Jürgen Otto aus Hessen wurde 1993 Präsident, veruntreute 3 Millionen D-Mark und sorgte mit für den Lizenzentzug. Die Flut 2002 setzte auch das alte Stadion unter Wasser. Nach mehreren Umbenennungen trägt der Neubau seit 2018 wieder den Namen, den die alte Arena bereits zwischen 1951 und 1971 trug: Rudolf-Harbig-Stadion.
Rudolf Harbig, geboren 1913 in Dresden, als beständig siegender Mittelstreckenläufer Held seiner Stadt und seit 5. März 1944 an der Ostfront vermisst. Wer könnte besser als Namensgeber für das Dynamo-Stadion geeignet sein? Tatsächlich war Harbig auch NSDAP-Mitglied, gehörte der SA an, profitierte von der Nazi-Propaganda und vermutlich auch vom damals erfundenen Methamphetamin als Dopingmittel. Schwarz und Weiß. Glorreiche Siege. Die Schmach von Uerdingen. Barockstadt. Dynamo Dresden.
© Dominik Alexander / 2020
Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.