Kolumne 666: Stereotype

Stereotype sind einst von Menschen erfunden worden, um die Welt für Menschen ein kleines bisschen sicherer zu machen. Doch was bedeuten sie für Menschen, die Stereotypen nicht entsprechen? Ist stereotypes Verhalten nicht eigentlich überholt? Eine Untersuchung.

Seit der sogenannten Aufklärung vermisst und kategorisiert der Mensch konsequent die ihm bekannte Welt. Was er dabei als mehrheitlich gegeben bzw. vorhanden erkennt, setzt er als Norm. Abweichler bewegen sich entsprechend abseits der Norm. Oder: jenseits des Rechts. Dabei ist jede Kategorie, in der es Mehrheiten und Minderheiten gibt, jeweils subjektiv ausgewählt und begrenzt, nach Maßstäben, die nicht immer klar erkennbar sind.

Die einfachste und scheinbar grundsätzliche Kategorisierung ist die der Menschen in Mann und Frau. Schwieriger wird es bereits, wenn man versucht, an die Mitglieder der Kategorie bestimmte Attribute zu knüpfen, die für alle Repräsentanten jeweils zutreffen. Je weiter man ins Detail geht, umso verwässerter werden die Kategorien. Die Grenzen verschwimmen. Der Horizont wird unklar, diffus. Schwierig halt. Also doch wieder nur Schwarz und Weiß. Wenige Möglichkeiten auszuwählen. Stereotype setzen und sie wiederholen.

Mutter, Vater, Kind, Baby, Hund

Playmobil_01_Familienspaziergang-mit-Buggy_cube Dieses Konzept scheint hinter der Herbst/Winter-Aktion von Rewe zu stecken. Für Einkäufe gibt’s Bonuspunkte. Und für eine bestimmte Anzahl Bonuspunkte können Prämien aus einem überschaubaren Katalog ausgewählt werden. Das System an sich ist nicht neu. Rewe macht das seit Jahren, um Anreize zu schaffen, um die täglichen Bedürfnisse stets in deren Filialen zu befriedigen. Rewe nennt das Treue-Aktion. Und kurz vor Weihnachten heißt die Zielgruppe: Vorschulkinder. Die Prämien sind nahe der Kasse platziert, so dass Eltern sich vom quengelnden Nachwuchs gegängelt sehen, die bunten Prämien als Geschenke in Betracht zu ziehen.

Im Grunde ist das auch keine schlechte Sache. So funktioniert die Marktwirtschaft eben. Bei den meisten Menschen hält der Widerstand nicht lange an. Und dann steht das Playmobil-Spielzeug in deutschen Kinderzimmern. Da schauen uns zuerst die ewig grinsenden Figuren einer Klischee-Familie an: sportlich gekleideter Vater, der den Kleinkindwagen mit Baby schiebt (Kopf des Kindes pädagogisch suizidal natürlich nach vorn), daneben die blonde Mutter (immerhin Kurzhaarschnitt), die einen klobigen Fotoapparat trägt, dann noch eine Art Vorschulkind mit albernem Herzballon und schließlich der Familienhund.

Eigenheim, SUV und Motorboot

Playmobil_02_Police-Quad_cube Worin besteht der Lebenssinn? Es gibt keinen Menschen, der sich das noch nicht gefragt hätte. Die Medizin wird sagen: So lange zu leben wie möglich, egal wie wenig man am Ende von diesem Leben noch hat. Playmobil und Rewe sagen: Ein Eigenheim musst du bauen. Einen SUV sollst du haben. Und dazu noch ein Motorboot. Das kannst du dir nicht leisten? Doch, kannst du! Mit einem Kredit. Denn damit kurbelst du die marode Wirtschaft an. Die Banken werden es dir danken. Und deine Kinder zahlen’s ab. Vielleicht. Irgendwann.

Ferner kann sich der quengelnde Nachwuchs noch einen total coolen Polizisten auf einem schicken Quad aussuchen. Da gibt es doch gleich wieder ein paar Pluspunkte für die sogenannten Hüter des Gesetzes. Ein wenig Imagepflege in Zeiten rechter Liebäugelei. Außerdem wollen Jungs im Vorschulalter doch Polizisten sein. Oder Piraten. Entsprechend gibt es auch dafür ein Set zu kaufen. Für Mädchen selbstverständlich viel Rosa, Glitzer und Einhorn. Das Rundum-Sorglos-Paket für die angehende Prinzessin.

Stereotype für eine heile Welt

Playmobil_03_Familienauto_cube Mädchen sind niedlich; Jungs hauen auf den Putz. So kann man das wohl zusammenfassen, was Rewe da als Vorweihnachtsprämien anbietet, von Playmobil bereitgestellt. Mutter, Vater, zwei Kinder, ein Herz für Tiere, wirtschaftsfreundlich mit massiven Familienkarren, großen, modernen Eigenheimen samt Hausboot. Dazu noch gesetzestreu und brav, während die Kinder in genau diesem Stil erzogen werden.

Dagegen steht freilich die Realität: Corona hat die Welt im Griff. Die Menschen ziehen sich in ihre Häuser zurück. Also nix mit Urlaub auf dem Hausboot. Dafür aber Spielnachmittage mit Playmobil. Ohne die böse diverse Gesellschaft da draußen fürchten zu müssen, können die Kinder heile Familie spielen. Papa kann das mit den Krediten erklären, während Mama wieder zurück vor den Herd geschubst wird. Die Tochter spielt ohnehin Prinzessin und träumt vom goldenen Prinzen. Da muss sie ja keinen Schulabschluss haben. Schnelles Internet, WLAN und das übrige Neuland sind in dieser neuen Romantik komplett überbewertet und irrelevant.


        © Dominik Alexander / 2020


Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.

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