Alles, was mit Liebe betrachtet werden kann
Sollte das auch spüren (dürfen)
Nicht auf eine als übergriffig empfundene Art und Weise
Die ins Körperliche driftet
Stattdessen auf eine geistige Art und Weise
Die ihre Kraft in eine liebevolle Zugewandtheit legt
Die gekennzeichnet ist von:
Respekt
Ehrlichem Interesse am Geliebten
Dem Willen, dass es dem anderen gut geht
Einem Gespür dafür, wann es einer bestimmten Art von Liebe bedarf:
Einem nachfragenden Wort
Einem offenen Ohr
Einem verständnisvollen Lächeln
Einem ehrlichen Rat —
Doch wie weit kann man gehen?
Wie weit darf man gehen?
Denn entgegengebrachte Liebe hat Grenzen
Vor allem, wenn sie einseitig entgegengebracht wird
Wie lange darf man einseitige Liebe zeigen
Ohne sich selbst zu verlieren?
Ohne sich lächerlich zu machen?
Und weshalb überhaupt wird platonische Liebe nicht als das erkannt, was sie ist:
Eine geistige Zuneigung, die physische Nähe nicht beansprucht —
Ist es die Trennung von Körper und Geist
Die in den Köpfen der Anderen nicht existiert?
Nicht sein kann?
Nicht sein darf?
Gilt platonische Liebe gar als pathologisch?
Als nicht normal?
Als widernatürlich?
Womöglich ist das so
Platonische Liebe ist eben gerade nicht animalisch
Sie ist abgehoben auf die geistige Höhe
Weil sie Vereinigung auf dieser Höhe will
Gerade nicht auf der fleischlichen Niederung der tierischen Existenz —
Der Mensch fühlt sich der Natur überlegen
Dennoch glaubt er, platonische Liebe abschätzig betrachten zu müssen
Er sieht sich mit einem Menschen konfrontiert, der ihm geistig nahe sein möchte
Und wittert dahinter tierisches Verlangen
Weil das doch natürlicher Trieb sei
Er unterstellt dem Anderen also, nicht Mensch zu sein
Sondern triebgesteuertes Tier
Seine Waffe sei die Verstellung
Und sein alleiniges Ziel die animalische Vereinigung —
Möglicherweise gibt es Menschen, die den Anspruch, Mensch zu sein, tatsächlich leben
Doch noch immer ist es schwer, sie zu finden.
© Dominik Alexander / 2022
