Kolumne 666: Freundschaftsspiel

Am Donnerstag Abend war der Liverpool FC zu Besuch beim RB Leipzig, und ich war nicht nur dabei, sondern mittendrin: In überfüllten Zügen und Straßenbahnen, unter der heißen Sonne, im ausverkauften Stadion mit vielen schwitzenden, betrunkenen, aber größtenteils friedlichen Fans. Was hatte mich bewogen? Ich versuche das mal zu erklären.

Früher, als die Welt noch in Ordnung war, konnte ich von Fußball kaum genug bekommen. Ich war selten im Stadion. Meist verfolgte ich die Spiele am Fernseher und pflegte eigens entworfene Tabellen von mehreren Ligen Europas. Vor dem Fernseher wirkte alles ganz groß; war ich im Stadion, erkannte ich, dass die Plätze genau so groß waren wie die, auf denen ich selbst spielte, abzüglich der Zuschauertribünen. Das relativierte meine Einstellung zu diesem Sport, seinen Akteuren und seiner gesellschaftlichen Bedeutung.

Den Kontakt komplett abgebrochen hatte ich, als mir die Kommerzialisierung zu viel wurde. Zuvor hatte ich Trikots gekauft, für fünfzig Mark, fünfzig Euro, siebzig Euro. Ich hatte mir ein Sky Abo geholt, um legal die Premier League verfolgen zu können. Schließlich war ich zur Bundesliga gewechselt. Der BVB hatte es mir angetan. Oder eher Jürgen Klopp. Ich schrieb immer längere Spielberichte, bis ich es übertrieb. Ich wollte wieder mehr Zeit und mein Geld sinnvoll verwenden. So wechselte ich praktisch über Nacht vom Fan zum Abstinenzler.

Liverpool, nackte Zahlen und Social Media

Als Jürgen Klopp im Jahr 2015 nach Liverpool wechselte, nahm ich das wahr. Zu dieser Zeit war ich noch latenter BVB-Anhänger gewesen. Mir war bewusst, dass Klopps Zeit beim BVB sich dem Ende zuneigte. Irgendwie fehlte der Enthusiasmus. Die Beziehung schien sich zu einem normalen Arbeitsverhältnis herabentwickelt zu haben. Zu Liverpool hatte ich bis dato kein Verhältnis gehabt, freute mich aber, als Klopp dort als neuer Trainer vorgestellt wurde. Danach verfolgte ich weiter sporadisch die Spiele des BVB, aber es fehlte etwas.

Als ich den Fußball ziehen ließ, standen überhöhte Ablösesummen, neue Shirts, Steuerhinterziehungen und Klüngeleien im Hintergrund weit mehr im Vordergrund als die Spiele an sich. Zuweilen verdienten Fußballer mit Werbeverträgen und Social Media sogar mehr als mit den Verträgen mit ihren jeweiligen Vereinen. Dennoch brachte mich Social Media, insbesondere Instagram, zurück zum Fußball – jedenfalls sporadisch, häppchenweise. Über die nackten Ergebnisse informiere ich mich über den Videotext der ARD; die Tore, Interviews, Statistiken und historischen Häppchen zeigt mir Liverpool gut aufbereitet auf seinem Instagram-Account.

Rote Bullen und vegane Currywurst

Dennoch zog es mich am 21. Juli 2022 nach Leipzig, um den Liverpool FC im Freundschaftsspiel gegen RB Leipzig live im Stadion zu sehen. Die selbsternannten Roten Bullen werden außerhalb Sachsens leidenschaftlich gehasst, obwohl sie in Deutschland der einzige Verein ist, der die Kommerzialisierung wenigstens ehrlich zur Schau stellt. Zum Großteil von Red Bull finanziert, haben sich die Leipziger so ihren Spitznamen »Dosenclub« eingehandelt. Andere Vereine benennen ihre Stadien in den Hauptsponsor um, bepflastern ihre Trikots mit immer mehr Reklamezügen, doch Leipzig ist die Hassprojektion Nummer Eins.

Die Fans jedoch unterscheiden sich kaum, auch wenn anreisende Jugendliche, auffallend schüchtern, erst in der Nähe des Stadions ihre Shirts und Kappen öffentlich zur Schau stellen. Im Stadion selbst veranstaltet der Verein ein Spektakel, das an amerikanische Sportveranstaltungen erinnert. Es gibt vegane Currywurst, die mit vier Euro zwanzig gleich teuer ist wie die Fleischvariante. Die Toiletten sind sauber und präsentieren eine futuristisch wirkende Pissoir-Zeile.

Stadionbesuche zu Zeiten des Neun-Euro-Tickets

Im Zug nach Leipzig konzentriert sich jedoch der Abschaum, der sich im Stadion wieder verteilt. Die Ärmsten der Armen glühen vor mit Billigbier, entweder direkt im Zug oder zu Fuß auf dem Weg zum Stadion, wo Kneipen ihre Schanktische ins Freie verlagert haben. Das Neun-Euro-Ticket leistet seinen Beitrag, um auch den Arbeitslosen und Abgehängten aus dem Umland die Fahrt ins Stadion zu ermöglichen.

Dort erleben sie eine überlegene Liverpooler Mannschaft. Mo Salah liefert eins, Darwin Nuñez sogar vier Tore zum Sieg der Gäste. Noch beeindruckender sind allerdings die Fans, die vier Plastikbecher mit wässrigem Bier in einer Hand zu ihren Freunden am Platz tragen können. In jedem Becher steckt jeweils ein Finger. Nachhaltigkeit und Corona sind hier ganz weit weg.


        © Dominik Alexander / 2022


Kolumne 666 besteht aus eben so vielen Worten. Dabei werden zwei Themen miteinander verwoben, die vordergründig kaum etwas miteinander zu tun haben. Ein Thema ist aus dem Pool an Schlagzeilen der vergangenen letzten Tage entnommen; das andere Thema entstammt meiner eigenen Biographie. Kolumne 666 ist ein serienhafter Kommentar zum Zeitgeschehen und soll zum Nachdenken mit anschließender Diskussion anregen; entweder hier oder im eigenen Bekanntenkreis.


RB Leipzig vs Liverpool FC

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