Da ist endlich das rote Mitternachtsleuchten, das mich zum Schreiben treibt. Ein Sehnen. Ein Kreuchen. Von Hummeln und Tauben. Erinnerungen an einen Tag auf dem Balkon. Mit frisch abgesaugten Polstern vom vorigen Jahr. Verblasst von der Sonne. Nur an den Stellen, die dem Wetter ausgesetzt waren. Ein anderer Balkon. Damals.
Jetzt ist der Tee schon wieder kalt. Doch gerade erst gemacht vor fünf. Stunden. Nicht ganz. Zwei vielleicht. War es da noch hell? Die Zeit ist mal wieder im Fluss und ich schwimme am Land. Träge vorbei. Kraule im Gras und werde nicht nass. Wohin soll das nur führen? Immer in die Gegenrichtung. Immer ins Dunkle.
Immer nur sehen wir das Dunkel nahen. Das Helle überfällt. Ist immer schon da, bevor wir den Alpträumen entsteigen. Im Sommer. Nicht, wenn wir jung sind. Da ist es umgekehrt.
Ich hatte mich, wie so oft, auf die Wettervorschau verlassen. Das Wochenende nur Sonnenschein. Nun soll es am Samstag regnen. Bevor ich die Polster nach innen gebracht habe, hat mir die Wettervorschau gesagt: Ab zwanzig Uhr soll es regnen. Garantiert. Ein richtiger Schauer. Mit Blasen. Mit Wind. Mit Temperaturabfall. Mit allem drum und dran.
Also habe ich die frisch abgesaugten Polster nach drinnen gebracht. Bin hineingegangen. Für ein Abendbrot. Habe mich ohne Tee ans Fenster gestellt. Habe nach draußen geschaut. Habe gewartet.
Kein Regen.
Vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen. Wie war das noch mal mit der Hoffnung? Wenn die Wettervorschau nicht mal auf eine Stunde etwas richtig prophezeien kann, besteht für morgen vielleicht doch noch Hoffnung.
Der Tee ist natürlich trotzdem kalt. Da kann man nichts mehr machen. Kalt trinken. Keinen neuen kochen. Denn den würde ich ja auch erst zwei Stunden. Oder fünf. Stehen lassen, bevor er mir wieder einfällt. Deutet das darauf hin, dass ich nicht mehr jung bin? Nicht unbedingt. Vergesslich war ich früher schon. Weil ich zu viel im Kopf hatte. Da ist das Unwichtige stets schnell wieder heraus. Wichtig ist ja nicht, den Tee zu trinken, solange er noch heiß ist. Wichtig ist, dass es ihn überhaupt gibt. Und wenn sich der Teegedanke irgendwann wieder ins Hirn schleicht, genügt es, wenn man den Tee später trinkt.
Anhand der Temperatur des Tees könnte übrigens berechnet werden, wie lange er bereits so dastand. Wieviel Zeit es also brauchte, damit ich wieder an ihn denke, nachdem ich ihn auf dem Tisch abgestellt und ihn sofort vergessen habe.
Nur einmal kurz auf den Balkon, und schon ist der Tee vergessen.
So ist das, wenn ein neues Buch im Postkasten liegt. Man beginnt zu lesen, taucht in eine andere Welt, vergisst die eigene. Den Tee. Die Zeit. Man vergisst, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Man vergisst, dass dieser Tag irgendwann auch mal zu Ende geht.
In meine Welt zurückgetaucht bin ich, als sich ein Kopfschmerz ankündigte. Da habe ich bemerkt, dass Zunge und Gaumen ganz trocken sind. Und die Teetasse neben mir noch bis oben gefüllt. Vom Kopfschmerz aus dem Buch zurückgeholt. Mit kaltem Tee auf den Abend angestoßen. Mich über die Wettervorschau geärgert. Und über mich. Weil ich das Buch heute. Bei schönstem Sonnenschein. Auf dem Balkon. Begonnen habe zu lesen. Und nicht erst morgen. Wenn es angeblich regnen soll.
© Dominik Alexander / 2023