Rufe in der Nacht

Das Vielfraß suhlte sich im Laub und sprach zur Krähe, die da stand: Muh. Hör zu, mir war, als hätte ich vernommen, ganz unbesonnen oder unbeschienen – wie man auch will – drei Rufe in der Nacht. Einer kam aus einem Eimer, der andere aus heiterem Himmel. Der dritte schließlich aus meinem eignen Mund.

Weshalb tust du mir das kund? wollte die Krähe nicht zu Unrecht wissen. Immerhin fühlte sie sich beschissen. Es ging ihr gar nicht gut. Denn jeder ihrer beiden Flügel überlappte den jeweils anderen. Schmutz hing im einen; im anderen ihre Gedanken. Der Kopf war nur noch zum Fressen da. Und für ein paar Worte, die aus dem Mund und zu ihren Füßen fielen.

Sagt man Füße? Wenn man doch die Schritte meint, die einem noch bis zum Tode fehlen. Schritte, die noch zu gehen sind, um nicht übergehen zu müssen ans nachgeborene Ei – welches auch immer das sei. Das würde der Zufall zeigen. Ebenso wie nicht das Schicksal zeigt, welche Eier gekocht und gegessen werden.

Später. Vom Menschen an einem Frühstückstisch.

Die menschliche Schwäche zeigt sich daran, dass sie sich vereinzelt gar nicht zeigt. In der Masse entstehen Dynamiken, an die der Einzelne nicht einmal denken kann.

Da ist ein Wort. Da noch eins. Der einzelne beginnt zu schreiben – ein Wort nach dem anderen. Langsam. Weil er nur einen Kopf und zwei Finger hat. Wenn viele Menschen schreiben. Wort für Wort. Doch in einer Gruppe. Entsteht nicht unbedingt ein Text. Aber viel mehr Worte als der Einzelne zustande bringt.

Es könnte sein, dass dann ein Vielfraß kommt, die Worte zu einem Haufen türmt und dann hineinspringt. Wer ist dieser Vielfraß? Und wer ist die Krähe? Und welche Worte drücken sie derart nieder?


        © Dominik Alexander / 2023
        © stokpic (image)

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