Wo eine ist, verstecken sich viele, um die eine zu rächen, sobald sie getötet ist

Er sieht sie aus dem Augenwinkel und denkt, hofft: Es ist nur ein Schatten. Verzögert von seiner eigenen Bewegung zum Bett. Jetzt nur nicht mehr aufhalten lassen. Immerhin ist es schon um zwei. Die Nächte sind nicht mehr so lang. Er kann es sich nicht mehr leisten, die Tage bis zur nächsten Dämmerung zu verschieben.

Die Physik lässt sich nicht verschieben. Höchstens auf eine Art Einbildung. Dann wäre es ein psychisches Problem. Da hält er sich lieber an die funktionierende Physik. Und weiß: Da ist noch ein Lebewesen mit dir im Raum. Denn du selbst sitzt schon seit geraumer Zeit auf dem Bett, versuchst ein paar Zeilen aus dir herauszuschreiben, um friedlich einschlafen zu können. Du hast dich nicht bewegt.

Also muss es etwas anderes sein.

Die Brille ruht bereits in einem anderen Raum. Doch die Bewegung ist da. Über ihm an der Wand. Nur schemenhaft erkennbar, weiß sein Verstand jedoch, dass es eine Spinne ist. Während er noch seufzt, malt er sich Bilder aus. Er könnte die Spinne Spinne sein lassen, das Licht löschen und endlich schlafen. Und dann würde sich die Spinne durch seine Körperwärme angezogen fühlen, würde zu ihm krabbeln, über Hand und Arme laufen – schließlich über das Gesicht in seine Haare hinein. Dort schlafen bis zum Morgen. Mit ihm erwachen und sich genau zu dem Zeitpunkt aus seinen Haaren abseilen, wenn er sich im Bad das Gesicht mit kaltem Wasser wäscht. Um munter zu werden und den Tag beschwingt beginnen zu können.

Sieht dann die Spinne vor seinen Augen und stirbt den Heldentod.

Immer wenn er an Begegnungen mit Spinnen denkt, enden sie tödlich. Meist für ihn selbst, während es in der Realität umgekehrt ist.

Das Seufzen geht in Bewegung über. Er wankt aus dem Bett, ins Bad, holt sich ein Stück Toilettenpapier, geht zurück, lauert ein paar Momente direkt unter der Spinne, um schließlich gezielt mit einem Schuh zuzuschlagen.

Die Spinne fällt dumpf auf den Unterwäscheschrank. Mit dem Blatt Toilettenpapier sammelt er das leblose Insekt auf, trägt es zur Toilette und spült direkt nach.

Kurze Zeit später sitzt er wieder auf seinem Bett. Er muss noch immer diese wenigen Sätze schreiben. Es ist wie eine Manie bereits seit ein paar Jahren. Doch die einzigen Worte, die sich in seinem Kopf formen, sind: Spinne, Spinne, Spinne. Was ist, wenn sie nur die Kundschafterin war? Die anderen machen sich Sorgen und kommen gleich nach, um sie zu suchen?

An Schlaf ist nicht mehr zu denken.


        © Dominik Alexander / 2024
        © Cdd20 (image)

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