Bienensummen im Wespennest

Rauschendes Fest. Ein Wespennest. Ist immer dort, wo ich gerade bin. Das Wespennest. Nicht das rauschende Fest. Genau deshalb schießt Dynamo genau dann ein Tor, wenn ich mich in den Schatten seines Zuhauses gesetzt habe. Nicht unbedingt nach Ruhe suchend. Denn welche Ruhe kann ich schon erwarten, wenn ich das Massensummen bereits gehört vom Doktor-Külz-Ring her? Für die Bienen ist’s ein Fest. Für mich ein Wespennest. Sie singen nur, pogen, toben. Das Summen schwillt an zu Trommelschlägen. Auf dem Höhepunkt Signalhörner von Polizei und Krankenwagen. Bestimmt freut sich die Feuerwehr schon auf den Schlusspfiff. Ich stell’ mir vor, wie ein paar Feuerwehrleute rund um die berüchtigte Stange stehen. Sie scharren mit ihren klobigen Feuerwehrstiefeln, warten auf die Sirene. Dass sie die Stange endlich kraftvoll packen können, sich daran reiben, sie fest mit ihren Oberschenkeln umschließen, hinuntergleiten. Für einige dieser Männer ist das der einzige Sex im Leben. Genau wie für die Bienen im Wespennest. Ein Odeur aus Alkohol, Schweiß und Testosteron. Hier leben Fußballfans ihr Schwulsein offen aus, ohne das zugeben zu müssen. Kraftvoll stoßen sie ihre Liebe heraus: DYNAMO! DYNAMO! DYNAMO! Ja! Ja! Ja! Versenkt! Der nächste Treffer. Und in neun Monaten winden sich die Frauen ähnlich kraftvoll. Ja! Ja! Ja! Ausgeworfen! Der nächste Dynamofan.

Dann ist der erste Orgasmus verebbt. Was folgt, muss in Alkohol ertränkt werden: die Halbzeitbespaßung. Draußen ziehen blau-weiße Einsatzkräfte ihre Runden ums Hygienemuseum. Innen schwirren die Bienen von Alkohol zum Klo, zum Alkohol zum Klo. Bis die Bespaßung nahtlos in die zweite Halbzeit übergeht.

Höchste Zeit für mich zu gehen. Die dritte Halbzeit will ich nicht in der Nähe des Wespennests erleben. Da steche ich dann nur hinein. Das gibt dann blaue Flecken. Also ziehe ich mich vorerst zurück. Beziehungsweise rücke ein Stück vor, nehme den Bienen noch eine Portion Eis. Wenigstens hatte ich das vor. Stattdessen steht beim Ausschank bereits eine lange Schlange, die mit Eis, Wespen und Bienen prima allein fertig wird.

Also Rückzug beziehungsweise Vormarsch. Was ich hier nur wollte war, mich wieder einmal abzuhärten. Man muss sich ja aussetzen. Ab und zu in den verrückten Alltag eintauchen, um ihn zu ertragen, wenn er unvorbereitet kommt. Und die Stille umso mehr zu genießen, wenn man sie aufsucht.

Stille finde ich üblicherweise auf Friedhöfen. Erst kürzlich habe ich ein ganz besonderes Grab entdeckt. Ich zeige es euch noch nicht, weil ich es noch hüten will – wie einen Schatz. Völlig blödsinnig im Grunde. Denn heute war um meinen Schatz herum keine Stille. Weder Ruhe noch Einsamkeit. Stattdessen auch hier: Menschen. Als hätten auch sie hier Ruhe gesucht. Vor den Bienen und Wespen. Vor der Kraft der dritten Halbzeit. Vor den Sirenen von Polizei und Krankenwagen. Auch hier ist all das noch zu hören. Keine Stille. Wenigstens forografieren kann ich meinen Schatz. Warte dazu immer ein Weilchen, bis ich alle Menschen vom Bild ausschließen kann. So suggerieren ich die Stille wenigstens ins Bild. Für später. Wenn ich euch in einer anderen Geschichte von meinem Schatz erzählen mag.


        © Dominik Alexander / 2023

Please share your thoughts!

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.