schhhhhhhhhhh
schusch
wipp wipp wipp
schhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
~ ~ ~ ~ ~ ~
Wie in einem Kokon eingebettet lag sie im warmen Gras. Feiner Sprühnebel wanderte durch ihr Gesicht. Schwebte vorbei. Legte sich nicht ab. Jeder Tropfen fühlte sich frisch an. Ob er es war? Einerlei. Nur keine Gedanken aufkommen lassen. Nur im Jetzt sein. Ihre Zeit war begrenzt. Der Genuss war endlich. Das Erlebnis nicht zu wiederholen. Die Schlange war endlos. Sie selbst hatte ein halbes Jahr warten müssen. Bis dahin: Der übliche graue Staub vor der Tür. Irgendwo dahinter war die Sonne, die sie zu ihren Lebzeiten noch nie gesehen hat.
Ruhe! Still, ihr Gedanken! Spüren, nur spüren. Einatmen – halten. Ausatmen – halten.
~ ~ ~ ~ ~
schhhhhhhuuuuuu
schuuuusch
wippi wippi wipp
huuusch huuusch
schhhhhh
~ ~ ~ ~
So ist es besser. Denn da sind sie wieder. Sie spürte es genau. Mr Sato hatte ihr gesagt, dass es besser ist, die Augen zu schließen. Denn sie sehen besser, als wir glauben. Dann fürchten sie sich, wenn sie erkennen, dass da etwas so großes lebt. Verstecken sich. Warten darauf, dass sich die Türen wieder schließen. Bis sie den Kokon wieder für sich haben. Sie hätte das Extrapaket buchen können. Mit Fotos. Dann hätte sie noch länger warten müssen. Nein, nur das reine Erlebnis. Im Vorraum hatte sie sich bis auf ihre Unterwäsche ausgezogen. Bereits da war sie allein. Keine Kameras. Seltsames Gefühl. Dann stand sie vor der Tür, atmete noch einmal tief ein. Aus. Ließ ihren Zeigefinger scannen, und die Tür öffnete sich. Klar hatte sie in der App die Bilder gesehen, auch dreidimensional. Doch es fühlte sich ganz anders an, wenn man wirklich da war. Alles war grün. Das war etwas beängstigend. Irgendein Instinkt meldete sich in ihrem Magen, ließ ihr Herz schneller schlagen. Ein tiefer Atemzug. Vielleicht Frischluft, vielleicht nur künstlich erzeugt. Doch es beruhigte sie. Der Kokon war eine blühende Oase mit riesigen Blättern, Sträuchern, Bäumen. Farne und Kräuter; Gerüche. Jeder Schritt ein anderer Duft. Ein weiterer Schritt, und die Düfte mischten sich. Einige Blüten schienen sich nach ihr umzudrehen. Sie ging weiter. Inmitten der Oase gab es eine kleine Lichtung mit weichem Gras. Hätte sie es nicht gewusst, hätte sie gedacht, es sei ein grüner Teppich. Mr Sato hatte ihr zuvor noch einmal alles erklärt. Langsam auf die Lichtung gehen, ins Gras. Mit nackten Füßen die einzelnen, kurzen Halme spüren. Sie kitzelten. Also auf den Rücken legen. Gerade und nicht mehr bewegen. Die Augen schließen. Atmen. Er hatte es so gesprochen wie in einer ihrer Meditationen. Sie erinnerte sich wieder daran. Wurde ruhiger und ruhiger. Bis sie einen sanften Lufthauch an ihrem rechten Unterarm spürte. Dann an ihrer linken Schulter. Dann Geräusche an ihrem linken Ohr wie von Aluminiumfolie. Es raschelte, wisperte wie ein Flüstern. Bald war um sie herum ein rauschendes Schwimmen, als läge sie in einem flachen Gebirgsbach. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen nur so weit, dass gerade genug Licht hineinfiel, um die Bilder um sie mit Leben zu füllen. Ihre Vorstellung war plötzlich real: Schmetterlinge tanzten um sie herum. Ein besonders großer bunter saß auf ihrer Hand, schlug mit seinen Flügeln, schien ihr direkt in die Augen zu schauen. Sie lächelte.
~ ~ ~
rischhhhh rischhh raschhh
wuuuuuuuuuuu
schooo schuuu schooo schuuu
wipp wuuu wipp wuuuuu
~ ~
Die halbe Stunde war viel zu schnell vorbei. Ein besonderer Duft lockte die Schmetterlinge an ihre verborgenen Futterstellen. Sie stand wieder auf, ging von der Lichtung zurück zur Tür. Drehte sich noch einmal um. Beinahe traurig. Dann ging sie schnell in den Vorraum, zog sich an. Weiter in den Eingangsbereich, verabschiedete sich von Mr Sato, bestieg den Gleiter und ließ sich zurück in die Zivilisation fliegen.
~
Der nächste Morgen begann wie jeder andere zuvor. Wie jeder Morgen seit sie denken kann. Die Sonne war nur ein Schatten. Durch die grauen Hochhäuser fiel kein Licht. Grün waren nur die Newsboards an den Fassaden.
Im Jahr 2077 gibt es keine Schmetterlinge, keine Bienen, keine Insekten mehr. Außer in dem kleinen Paradies, das sie gestern besucht hat.
© Dominik Alexander / 2023
Spannend, vom ersten Wort an. 2077 wirft den ahnungsvollen Schatten auf das Jetzt. Einatmen, kurz halten, ausatmen. Weitermachen.
LikeLiked by 1 person
Ja, weitermachen. Nur nicht ganz so wie bisher. Sonst wird’s so wie beschrieben!
LikeLiked by 1 person